Nutzbarkeit der gestalttherapeutischen Haltung für die Entwicklung von Führungskompetenz

Vor fast 20 Jahren stieg ich in eine Führungsposition ein, ich gerade mal 24 Jahre alt und meine beiden Stellvertreter über 10 Jahre älter als ich, für mich lag das Leben über den 30igern noch in weiter ferne, das war einfach so alt. Ich hatte das nicht geplant, sondern eine Chance ergriffen. Total nervös und etwas ängstlich schaute ich dem Tag unserer ersten Begegnung im Job entgegen.

Ich weiß nicht mehr was genau mich antrieb, mich intensiv mit dieser Situation zu beschäftigen – es schien wie ein innerer Ruf zu sein, diese Herausforderung gut zu meistern, als würde sehr viel für mich davon abhängen. Jedenfalls saß ich bei einem Glas Rotwein in meiner noch Studentenbude, visualisierte die vor mir liegende Situation und begann mir Fragen zu meiner Rolle zu stellen: Wie will ich, dass ich wahrgenommen werde, warum ist mir das wichtig, wie möchte ich als Chefin sein, was ist der Rahmen in dem ich mich bewege, was meine ich, dass von mir erwartet wird, was erwarte ich von mir selbst, welche Vorbehalte könnten mir begegnen, was möchte ich dazu ansprechen, was ist meine Verantwortung, was nicht, welche Werte sind mir wichtig, wo zeigen sich diese im Rahmen von Zusammenarbeit, welche Gefühle spüre ich und was ist mir selbst dabei wichtig.

Daraus entstand für mich ein Rahmen für mein Handeln und eine Klarheit die mein Umfeld manchmal überraschte, eine Offenheit an Stellen an denen so manch andere eher Verschlossenheit zeigte. Verbindlichkeit wo diese notwendig war und die Fähigkeit Unsicherheit und Irren zu zeigen wo ich dieses hatte.

  • Damals hörte ich auf mein Gefühl in Bezug auf mein Handeln und meine Gestaltung von den Begegnungen mit meinen MitarbeiterInnen. Ich brachte in den Kontakt was notwendig war. Dialogisch, auf Augenhöhe und Respektvoll.
  • Damals nannte ich es Bildgestaltung, wenn ich den Eindruck hatte, dass mir für eine Entscheidung noch Informationen fehlten. Damals schaute ich, was ist die wirkliche Motivation, was liegt im Hintergrund, im unausgesprochenen verborgen – das sprach ich an.
  • Damals beschäftigte ich mich mit der dialogischen Führung als alternative zu klassischen hierarchischen Führungsstilen, ich verstand mich als Unterstützerin und Ermöglicherin, als Partnerin für Dialog.
  • Damals beschäftigte ich mich damit, wie ich möglichst viel wahrnehmen kann um mein Begegnungsspektrum und Entscheidungsspektrum zu vergrößern.
  • Damals beschäftigte ich mich mit den Rahmenbedingungen in denen ich wirke und der Gestaltung dieser und ich erfuhr welchen Tanz Persönlichkeit und System der Organisation miteinander tanzen.
  • Damals erfuhr ich wie eine gute Beziehung, eigene Zweifel und Vorbehalte heilen kann. Mir begegnete enormes Zutrauen und ich konnte wirksam werden.

Nun fast 20 Jahre späte erfahre ich im Rahmen meiner Ausbildung zur Gestalttherapeutin, was ich damals tat. Ich konnte so lange nicht erklären, warum ich sehr erfolgreich als Führungskraft arbeitete, ich hatte keine Vorlagen, keine Landkarte, die mir den Weg zeigte. Ich arbeitete selbst an meinem dialogischen Weg, der gleichzeitig auch das System und den Wirkungsrahmen bedachte.

Die Ausbildung in der Gestalttherapie gibt mir eine Sprache über mein damaliges Handeln. Denn die Elemente die ich nun heute wieder aufgreife, habe ich damals schon erfasst, nicht in der Tiefe und nicht in der Bedeutung in der therapeutischen Heilung, doch in meinem Sein als Führungskraft. Genau deshalb möchte ich diese aufgreifen und nun anhand der Gestalttherapie nutzbringend erklären.

  • Heute nenne ich es Erweiterung meiner Bewusstheit – durch Wahrnehmungsübungen
  • Heute nenne ich es das dialogische Prinzip in der Begegnung zwischen Menschen
  • Heute unterstütze ich dabei, das in den Vordergrund zu bringen, was im Hintergrund wirkt.
  • Heute nenne ich es auf das Ganze zu schauen und alles was möglich ist, in Betracht zu ziehen
  • Heute nenne ich es Heilung aus der Beziehung
  • Heute nenne ich es Arbeiten im Hier und Jetzt
  • Heute übe ich Körper und Gefühle noch mehr wahrnehmen zu können und diesen Raum zu geben.

Biete keine Unterstützung für Führungskräfte an!

Heute, bzw. zu dieser Uhrzeit ist das ja schon ein Gestern, hatte ich Geburtstag und mir ein besonderes Geschenk gemacht, ein Mentoring, bei dem es um meine Arbeit und meinen Werdegang geht.

Ganz interessant für mich war die Aussage, dass ich mich doch besser nicht mit Führungskräften in Organisationen beschäftigen soll, da diese sich entweder im Budgetzwang des Unternehmens befinden oder selbst nicht erkennen, dass sie Bedarf an einer Unterstützung haben. Ist das denn wirklich so?

Was ist mit alle den Führungskräften, die nicht wissen, wie sie dem Druck zwischen Mitarbeitern, Vorgesetzten, und eigenen Erwartungen stand halten sollen?
Was ist mit den allgemein gängigen Aussagen zu steigendem Burn Out und Stress? Braucht es hier nicht ab und an jemand, der unterstützt, der mithilft einen Knoten zu lösen? Oder jemand, der einen Rahmen schafft, in dem ausgesprochen werden kann, was im Unternehmen nicht geht?

Und was ist mit den gestiegenen Erwartungen agil, new Work und Leader zu sein? Braucht es hier keine Unterstützung von außen um in die eigene Aufrichtigkeit zu kommen? Jemand, der euch hilft nicht nur das „was“ und „wofür“ zu klären sondern vor allem beim „wie“ einen passenden Weg mit euch findet?

Also liebe Führungskräfte, ich mag euch in all euren Anstrengungen, Zweifeln und Versuchen, möglichst vielem und euch selbst gerecht zu werden. Helft mir doch bitte, dieses Rätsel zu lösen. Geht Unterstützung nur übers Unternehmen oder sucht ihr euch selbst manchmal eigene Mentoren und Support?

Ich finde euch wichtig, ihr gestaltet Begegnungen im Unternehmen und prägt dadurch im Rahmen eurer Möglichkeiten eine Kultur des konstruktiven Miteinanders oder eben nicht. Wäre es da nicht interessant mal etwas aus dem eigenen Unternehmen raus zu schauen und sich Hilfe zu holen? Oder gibt es ein Überangebot an Hilfeleistenden?

PS: an meine Geburtstag habe ich nicht nur gearbeitet sondern auch das Leben gefeiert und im Unterschied zu früher mag ich die 42 wirklich gerne und die silbernen Haare werden von meiner Tochter als „Elfenhaare“ bezeichnet. Das finde ich wundervoll.

SCHEIN oder SEIN

Als Unternehmerkind in einem kleinen Schwarzwalddorf durfte ich sehr früh erfahren, wie denn Unternehmer zu sein hatten. Der Schein, den es zu wahren galt und was auf unsere Familie projeziert wurde könnte ich mit den Worten Erfolg, Reichtum und Freiheit beschreiben. Tatsächlich war der Erfolg immer weniger und die finanzielle Freiheit nur scheinbar vorhanden. Ja, ein Mercedes Cabrio stand vor unserer Tür und ich durfte schon früh die Welt bereisen, das war besetzt mit Konflikten, sich das nicht herausnehmen zu können und sich nicht leisten zu können. Das hatte für mich weitreichende folgen. Denn das erfolgreiche Unternehmergefühl wurde ersetzt durch Scham, es nicht zu schaffen, finanzielle Sorgen, private Schulden und dem dauernden Druck es doch irgendwie hinbekommen zu müssen. Es gab ja eine Erwartung (auch aufgrund der Familientradition zu erfüllen).

Als Kind lernte ich sehr früh zu unterscheiden, was sein und schein bedeutet, das äußerlich erwartete entsprach nicht der von mir gesehenen und erlebten Realität. Die Fähigkeit dies zu unterscheiden zieht sich durch meinen Werdegang und ich habe schon damals die Entscheidung getroffen immer mehr in meine Aufrichtigkeit mit mir und meinem Umfeld zu kommen. Weniger Spielchen, weniger so tun als ob…..

Ebenfalls führte diese Erfahrung auch dazu, dass ich Unternehmer und Führungskräfte immer als Menschen mit ihren Sorgen und Nöten betrachte. Ich sehe das „sein“ auch wenn mir der „schein“ gezeigt wird.

Geld – Gehalt – Zeit

Ich war 12, als ich nach der Schule die monatlich geleisteten Arbeitsstunden aus den manuellen Stempelkarten der Mitarbeiter berechnete. 
Ich stellte fest, dass Arbeitsstunden für gleiche Arbeit unterschiedlich finanziell vergütet wurden und dass darüber nicht gesprochen wurde. #newpay#newwork

Dann begann ich Fragen zu stellen. Wer bekommt wie viel für was und warum muss die Pause ausgestempelt werden, etc.? Was zählt zur Arbeit und was zur Pause? Wie geht es den Menschen wohl, wenn ihre Zeit in Geld umgewandelt wird?
Und machen die Mitarbeiter eigentlich gerne was sie tun? Und warum nur haben meine Eltern keine Stempelkarte…..
#Unternehmerkind

Mitte 20, und ich war selbst Führungskraft (nein, nicht im Betrieb meiner Eltern): in meinem Bereich wurde offen über Gehalt gesprochen, die Einstiegsgehälter waren transparent, konnten von allen nachvollzogen werden und die Mitarbeiter in meinem Verantwortungsbereich entschieden eigenverantwortlich über Gehaltserhöhungen.

Heute plädiere ich dafür, keine Angst zu haben über Vergütung zu sprechen und helfe Führungskräften dabei, sich mit mehr Leichtigkeit und weniger #stress an angeblich schwierige Themen zu wagen. Für mehr #Klarheit#Aufrichtigkeit und #Augenhöhe in Begegnungen im Arbeitskontext und darüberhinaus.

„Frau Waibel, schmeißen Sie alle festangestellten gewerblichen Mitarbeiter raus und ersetzen Sie diese durch Zeitarbeitnehmer.“

Ich, Betriebsleiterin in einem Logistikbetrieb und mein Chef, der Geschäftsführer, mit einer klaren Ansage. Meine erste Reaktion: krasser Typ, der total durchgedreht ist. Mir war sofort klar, dass ich das nie, nie, nie umsetzen werde.

Ich analysierte ihn, wollte er mich damit testen? Oder ist sein cholerisches Wesen mit ihm durchgegangen. War diese Aussage ein Stellvertreter für einen anderen Konflikt in ihm. Oder meinte er das tatsächlich ernst? Und was ist sein Beweggrund (den hatte ich schnell klar: die Personalkosten).

Was habe ich also getan:

Ich hatte eine schlaflose Nacht, sortierte mich, forderte am nächsten Tag einen Termin ein (er war immer sehr beschäftigt) und teilte ihm folgendes mit:

-eine solche Anweisung setze ich nicht um. Wenn er diesen Weg gehen möchte, dann darf er diesen selbst umsetzen.

-ich strebe einen vertrauensvollen Umgang mit den Mitarbeitern in meinem Verantwortungsbereich an und versuche die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass diese ungehindert tätig sein können, lernen stattfinden kann und die Kundenanforderungen erfüllt werden. Das widerspricht dieser Ansage von ihm.

-in der Zusammenarbeit zwischen ihm und mir erwarte ich eine andere Art der Kommunikation, auch für den Fall, dass dies nicht ernst gemeint war, da ich kein Interesse an informellen Spielchen habe.

-er solle bitte prüfen, inwieweit er bei den Punkte mitgehen und diese unterstützen kann, oder ob ihm diese Art, Zusammenarbeit zu denken total widerspricht, denn dann passen wir nicht zusammen.

Ich hatte den Eindruck, dass er innerlich sehr verunsichert war, denn mit einer solchen Klarheit wurde in dem Unternehmen selten mit ihm gesprochen. Seine cholerische Art blockte ich einfach ab. Zumindest dem Anschein nach, denn dieses Gespräch hat mich nervös gemacht, ich war unsicher und wusste nicht, ob ich es tatsächlich schaffe die Punkte in der von mir angestrebten Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

Glücklicherweise war ich zu diesem Zeitpunkt schon sehr führungserfahren und klar, wie Zusammenarbeit für mich gut funktioniert und welche Werte ich vertrete. Ich frage mich manchmal ob es wohl Führungskräfte gibt, die das wirklich ernsthaft umgesetzt hätten….

Was ist nach meinem Gespräch passiert?

Einfach nichts, meine Punkte wurden gesagt und gehört und bestätigt, dass das doch nicht ganz so gemeint war. Doch ich habe noch etwas anderes gelernt, ich habe den Menschen vor mir gesehen. Dieses Verhalten war seine Strategie an dieser Position zu sein wo er ist, sich durchzusetzen und sich Respekt zu verschaffen und vielleicht auch eigene Unsicherheiten zu kaschieren. Ich vermute, dieses Verhalten war notwendig und nützlich zu einem bestimmten Zeitpunkt. Mir ist es gelungen hinter die Fassade blicken zu können und spürte trotz meiner Distanz zu dem Gesagten, Mitgefühl.

Kannst du Führung wirklich, wirklich?

Ehrlich zu mir selbst.

Ich habe schon manchmal so getan als hätte ich voll den Plan und alles im Griff und ganz ehrlich: ich habe mich gefragt, ob ich etwas schaffe, ob ich etwas kann, ob ich etwas gerecht werde, ob ich fair war, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe, ob ich etwas tun sollte, oder etwas lassen sollte, durchhalten muss, oder etwas verkaufen muss, Dinge verschweigen soll und vor allem: was denken denn die anderen von mir.

Stärke durch persönliche Klarheit.

Diese Grübeleien haben mich einerseits leiden lassen und mich andererseits ausgestattet mit einem sehr guten Gefühl für mich selbst und der Verbindung zu meinen Werten und meiner Haltung. Das lässt mich mich aufrichtig sein. Ich verbiege mich nicht und habe erkannt, ich liebe Führung, denn ich liebe den Kontakt zu Menschen, das gemeinsame Lernen und arbeiten an einem Thema.

Rückmeldungen zu eigenem Wirken.

Laut meinen „Kunden“ bin ich eine super Führungskraft, mir wurde schon mehrfach applaudiert, ich wurde vermisst, wie ich gegangen bin und als prägend wahrgenommen. Kunden sind in meinem Verständnis meine Mitarbeiter. (Dienstleister ist übrigens in diesem Verständnis mein „Vorgesetzter, Chef, oder wie man diese Person auch immer bezeichnen möchte.) Mein Job ist/war es den Rahmen für Zusammenarbeit zu gestalten und die Kunden dabei zu unterstützen wiederum ihren Kunden weiterzuhelfen. Das alles findet/fand in Begegnungen statt, entweder zu persönlichen Themen, oder zu arbeitsbezogenen Themen.

Und doch blieben so manche Zweifel, kann ich das wirklich, wirklich? Oder spiele ich hier nur was vor?

Meine wertvollste Ressource – Fragen stellen.

Mittlerweile, dank vieler Jahre Erfahrung und der Klarheit für mich selbst glaube ich, dass ich Führung kann. Allerdings nicht nach Lehrbuch, sondern aus mir selbst heraus. Ich kenne meine Ressourcen und meine Fähigkeiten. Das kraftvollste Tool, das ich nutze ist es mir und meinem Umfeld Fragen zu stellen. So manche Frage habe ich mir schmerzlich ehrlich beantwortet, mir zugestanden mich unsicher zu fühlen, Zeit zu brauchen, mich klein zu fühlen, Neid zu empfinden. Es gibt diese „verbotenen“ Worte, das was eine FK nach außen nicht zu sein hat, die Elefanten im Raum, das nicht ausgesprochene in dem so viel Möglichkeiten zur Weiterentwicklung steckt.

Unausgesprochenes aussprechen.

Ich bin davon überzeugt, dass aus mehr Elefantenarbeit mehr aufrichtige Begegnungen im stattfindet und gleichzeitig eine gesündere Beziehung der Führungskräfte zu sich selbst. Vielleicht erspart das die eine oder andere Burnout Prävention.