Gestalt und Führung: Entwicklung einer dialogischen Haltung

Es muss also darum gehen, sich fähig zu machen, andere zu verstehen und sich so zu verhalten, dass diese sich selbst äußern und tätig werden können. Nicht die Zukunft zu verplanen sondern Gelegenheiten zur freien Äußerung, Tätigkeit und Selbstentwicklung zu geben heißt hier die Herausforderung.“

Ich kann dem einzelnen Menschen nicht wirklich vertrauen, wenn ich „ dem Menschen” prinzipiell nichts zutraue und umgekehrt.

Diese Zitate stammen aus dem Buch “Dialogische Führung” von Karl-Martin Diez und Kracht. Doch wie kann eine solche Haltung entwickelt werden?

Das eigene Menschenbild überdenken: Was glaube ich wie mein Gegenüber tickt? Traue ich diesem etwas zu? Glaube ich daran, dass meine MitarbeiterInnen Talente, Fähigkeiten und Ressourcen mitbringen und diese gerne einbringen wollen? Diese und ähnliche Fragen können Aufschluss über den eigenen Blick zu den Menschen geben mit denen Zusammenarbeit gestaltet werden soll. Tauchen hier zweifelnde und negative Ideen auf, dann ist zu überprüfen, woher diese kommen, welche Ängste bei der Führungskraft selbst damit verbunden sind oder welche Erfahrungen schon gemacht worden sind. Oder wurde eine Haltung einfach von anderen Personen übernommen?

Wahrnehmungsfähigkeit schärfen: Das Dialogische zu lernen bedeutet zum einen die eigene Wahrnehmungsfähigkeit zu nutzen und auszubauen und zum anderen die eigenen Wahrnehmungen in den Kontakt zu bringen. Dies zu üben kann jeden Tag geschehen. Immer wenn ich etwas spüre, was mein Gegenüber vielleicht nicht weiß, kann ich dies aussprechen immer wenn ich eine Annahme treffe kann ich prüfen ob diese stimmt, immer wenn ich über jemandes Verhalten lästere kann ich mir überlegen, dass dem persönliche Gründe vorauseilen und versuchen diese zu explorieren. Um die eigene Wahrnehmungsfähigkeit auszubauen ist es hilfreich sich selbst wahrzunehmen, also was spüre ich, was fühle ich, was nehme ich an, was denkt mein Kopf, was sind meine eigenen Annahmen, was könnte ich übersehen haben, usw.

Eigene Erfahrungen reflektieren: Meine ersten Arbeitswochen im Rahmen meines dualen Studiums verbrachte ich in der Konzernzentrale. Ich fühlte mich unwissend, neu und erlebte mich als sehr zurückhaltend. Eines Tages sollte ich zu einer Konferenzveranstaltung gehen. Die Räumlichkeiten lagen direkt neben denen des Geschäftsführers. Wartend noch vor dem Raum lief ich etwas schüchtern vor den Fenstern auf und ab, schaute auf die vorbeifahrenden Autos und plötzlich ging die Tür auf und der Geschäftsführer von damals über 30.000 Mitarbeitenden kreuzte meinen Weg. Er hielt an, schaute mich an, ich war immer unsicherer, hatte ich etwas falsch gemacht. Da sagte er: „Ah sie sind die neue BA-Studentin, richtig, eh lassen sich mich kurz überlegen: Frau Waibel, oder? Ich wünsche Ihnen einen guten Start hier.“ Ich sagte leise ja und danke und ging sehr überrascht zu der dann starteten Veranstaltung.

Dieses Ereignis hat mich geprägt. Ich habe mich gesehen und wahrgenommen gefühlt und habe entschieden, dass ich, falls ich mal mit Mitarbeitenden zu tun haben sollte auch genau diese Wahrnehmungsfähigkeit entwickeln möchte. Das war meine erste Begegnung mit der Haltung, die der dialogischen Führung. Ich habe sie selbst erlebt und erfahren. Ebenfalls habe ich auch schon das Gegenteil davon erfahren, mich nicht gut und gesehen gefühlt. Meine Reflexion über diese Erfahrungen gibt mir Orientierung und lässt mich meinen ganz eigenen Weg dazu finden.