Diese Frage habe ich heute in der LinkedIngruppe NewWorkWoman gesehen und sie hat mich sofort inspiriert, weiterzudenken und diesen Gedanken hier Raum zu geben.
Was kann dazu führen, dass in einem Meeting geweint wird? Ich versuche in diesem Text einige Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufzuführen.
Du bist traurig aufgrund einer persönlichen Situation und denkst daran.
In diesem Fall ist Weinen eine regulierende und zutiefst menschliche Reaktion, die in allen möglichen Situationen zum Vorschein kommen kann. Weinst du dann in einem Meeting kann das zu Irritationen führen. Wenn du deinem Umfeld jedoch mitteilst, dass du zutiefst traurig bist aufgrund einer persönlichen Lage, dann führt das eher zu Verbindung, Verständnis und getragen werden durch eine Gruppe. Inwieweit dies in einem Meeting Raum bekommt, hängt jedoch sehr von der Kultur des Miteinanders ab. Und auch, wie viel du von dir preisgeben möchtest. Jedenfalls bekommst du mit Sicherheit Verständnis dafür, dir etwas Zeit zu nehmen, das Meeting zu verlassen und (kurz) zu pausieren. Ich finde das zutiefst authentisch und fände es schön wenn Menschen sich erlauben, sich Zeit und Raum zu geben, um traurig sein zu dürfen. Das ist heilend und hilft, Offenes abzuschließen. Wenn Menschen sich das nicht erlauben und meinen, immer performen zu müssen, das Gesicht zu wahren und keine Verletzlichkeit zu zeigen, dann führt das auf Dauer zu innerem Druck.
Du wirst beleidigt, gekränkt, verletzt.
In einem Meeting sagt dir jemand dass du ein Idiot bist. Du fängst an zu weinen. Mir scheint, das ist dann der Fall, wenn tiefe Bedürfnisse, die du hast, nicht befriedigt wurden oder werden. Du möchtest z.B. gesehen werden für das was du leistest, du hast Angst, Fehler zu machen, du brauchst viel Sicherheit und Bestätigung. Oder du fühlst dich einfach hilflos in der Situation. D.h. Muster in dir sind wirksam, die womöglich aus einer anderen Zeit in deinem Leben kommen. Diese werden angetriggert, du driftest emotional ab und lässt dich von diesem Trigger mitreißen und reagierst auf Basis der nicht erfüllten persönlichen Bedürfnisse aus deiner Lebensbiografie. Das Weinen zuzulassen, wenn es zum Vorschein kommt, halte ich dennoch für ratsam. Ein Runterschlucken hilft meist nicht. Nehmen wir mal an, du weinst los. Dann empfehle ich dir dennoch, dir eine kurze Pause zu nehmen. Sortiere dich. Was wurde angetriggert? Was ist dein Bedürfnis? Versuche, dein Inneres von den äußeren Rahmenbedingungen zu trennen. Denn auch wenn du vielleicht unbewusst über die Art und Weise, wie du arbeitest, diese Bedürfnisse erfüllt bekommen möchtest, so sind diese meist nicht hilfreich im Arbeitskontext. Ich behaupte, je klarer du für dich bist, je besser du im Kontakt mit deinen Werten, deinen Kompetenzen und deinen Grenzen bist, je mehr du deine inneren Strukturen kennst, desto besser kannst du dich selbst in dieser Situation führen und auch sehen, dass eine Beleidigung meist etwas mit dem Beleidigenden zu tun hat. Du wirst in diesem Fall nicht gemocht, deine Art, zu arbeiten, vielleicht als nicht hilfreich angesehen – das kannst du prüfen indem du Fragen stellst. Und du kannst mit diesem Weg der Emotionsregulation deine Grenze vertreten, bspw. zum Ausdruck bringen, dass du sachlich, fachlich an einer Zusammenarbeit interessiert bist, jedoch nicht verbal attackiert und beleidigt werden möchtest. Wenn du merkst, dass du leicht in solchen Situationen ins Weinen kommst, dann empfehle ich dir, das Weinen als Ratgeber zu verwenden und dich außerhalb der Arbeit mit deinen tieferen Mustern, Glaubenssätzen usw. zu beschäftigen.
Du bist unsicher, überfordert und erschöpft und kannst deine Leistung nicht so erbringen, wie du es von dir selbst erwartest.
Tja, da ist Weinen wohl ein Ventil, das deine Überlastung anzeigt. Vermutlich hast du viel zu lange alles gehalten, alles gegeben und geschuftet, weil du denkst, dass du performen musst. Was für eine Anstrengung. Das gleicht dann eher einem Zusammenbruch und meiner Ansicht nach darf das ruhig gesehen werden. Auch hier ist die Frage, wie du damit umgehst. Also konkret. Du sitzt im Meeting, weinst los. Vielleicht hattest du schon mehrere schlaflose Nächte, machst Überstunden, schaffst dein Arbeitspensum nicht mehr. Selbstverständlich fragen sich die Teamkollegen:innen, was los ist. Wenn du nun einfach sagst: „Ach nichts, ich bin nur ein bisschen angestrengt, geht gleich wieder“, dann bist du nicht wirklich im authentischen Kontakt und du machst weiter wie bisher. Meine Empfehlung ist eine andere. Jedoch hängt diese auch davon ab, wie sehr du deine Überlastung spüren kannst. Bringe zum Ausdruck, dass du gerade nicht mehr kannst, dass du Unterstützung brauchst, dass du erschöpft bist. Vielleicht ist das Meeting nicht der Rahmen, in dem weiter darauf eingegangen wird, und du verlässt dieses und gehst kurz an die frische Luft und nimmst ein paar tiefe Atemzüge. Oder du nimmst noch passiv daran teil. Jedoch machst du transparent, wie es dir gerade mit deiner Arbeitsbelastung geht, und dein Umfeld kann darauf reagieren. Nicht alles schaffen zu können, ist zutiefst menschlich und das zuzugeben, meist mit Scham behaftet. Hinter der Scham stecken jedoch Ideen davon, was du alles zu leisten hast. Nimm dir Zeit und Raum, diese anzuschauen, dass du nicht wieder in eine solche Situation kommst.
Du wirst nicht gesehen mit dem, was du einbringst, kämpfst für deinen Standpunkt.
Das ist wohl so ähnlich wie bei der Überforderung. Du bist im Kampfmodus, bringst Argumente hervor und weißt, was du für eine Situation geleistet hast, doch du hast Kontrahenten und kommst einfach nicht durch. Das, was dich dann weinen lässt, könnte entweder aus Erschöpfung heraus entstehen – dann kannst du oben weiterlesen, oder aus der Strategie heraus, dass dich Weinen weiterbringt, dann kannst du unten weiterlesen.
Du weinst, weil du weißt, dass du dann eher bekommst, was du willst.
Eltern kennen es zu gut. Kann ich ein Eis haben? Antwort: nein, dann weinen. Bekommt das Kind dann doch das Eis, weil die Eltern das Weinen nicht aushalten, dann könnte es sein, dass das Kind lernt, dass es mit weinen bekommt, was es will (das muss nicht immer so sein….). Wenn du mit so einem Muster groß geworden bist und oft erfahren hast, dass das funktioniert, dann kann es sein, dass du das auch in anderen Lebensbereichen einsetzt. Und das vielleicht nicht einmal bewusst. Dann entstehen Dramen, Themen werden vergrößert, aufgeblasen und natürlich musst du dann weinen. Du begibst dich (mit Absicht oder unabsichtlich) in eine „Opferrolle“. Wenn du so ein Muster in dir hast – im übrigen sieht man das auch oft in Beziehungen – dann ist dein Weinen strategisch. Wie dein Umfeld damit umgeht hängt wohl vom Rahmen, Setting und den Mustern der anderen ab. Wenn du jedoch merkst, dass du zur Überdramatisierung neigst, dann empfehle ich dir, an diesem Muster zu arbeiten, denn es ist nicht hilfreich für den Arbeitskontext und führt zu schwierigen Situationen im Team. Ein Indikator von außen könnte sein, dass du mit deinem Weinen einfach nicht mehr ernst genommen wirst.
Du weinst, weil dir jemand auf die Schliche gekommen ist.
Das ist so eine Sache. Also mal angenommen, du hast aus irgendwelchen Ängsten heraus so getan, als hättest du etwas geleistet, was du aber gar nicht gemacht hast. Dann kann Weinen sehr erleichternd sein und ein Indikator dafür, dass du etwas zurückgehalten hast, was dich Anstrengung gekostet hat. Im Teamkontext könnte das bedeuten, dass du auch wirklich bereust, dass du es soweit hast kommen lassen. Vielleicht gelingt es dir, dich aufrichtig in deinem „Fehlverhalten“ zu zeigen. Inwieweit dir weiterhin Vertrauen geschenkt wird, hängt vermutlich von der Situation ab. Für dich jedenfalls kann Weinen eine große Entlastung sein.
Du weinst, weil dir etwas wehtut.
Bitte äußere sofort, was los ist, und hole dir Unterstützung. Du musst nicht mit Schmerzen arbeiten. Ja und das ist dir dann vielleicht peinlich. Verschiebe es auf später, dich um die Peinlichkeit zu kümmern, und sorge für dein Wohlbefinden.
Du weinst vor Freude und Rührung.
Wie schön ist das denn? Vielleicht bekommst du ein Kompliment, eine sehr wertschätzende Rückmeldung oder so etwas und du merkst, dass das wirklich etwas mit dir zu tun hat. Du lässt es durchsickern und tust es nicht ab, als Teamleistung oder als Selbstverständlichkeit. Dich rührt die Rückmeldung und du hast das Gefühl, wirklich gesehen zu werden. Da kann doch auch mal ein Tränchen fließen, finde ich. Das macht dich berührbar und menschlich.
Mein FAZIT: ob weinen emotional intelligent ist, kommt auf den Kontext und den Hintergrund an. Ich würde auch gerne von dem Wort emotional intelligent abweichen wollen und dieses verändern in: emotional notwendig. Wenn es das ist, dann ist Weinen eine intelligente Reaktion unseres Systems. Zutiefst menschlich, heilend und führt eher zu Verbindung, Mitgefühl, und Verständnis. Ob es im Rahmen eines Meetings intelligent ist in Tränen auszubrechen, hängt jedoch eher von der betrieblichen Kultur ab. Denn Weinen macht verletzlich. Und auch wenn ich mir eine Welt wünsche in der Unsicherheit und Verletzlichkeit als normal betrachtet werden so ist das im Arbeitskontext meist nicht der Fall. Dich verletzlich zu zeigen bedeutet auch, dass du dich selbst in dieser Verletzlichkeit Halten und Tragen können musst. Sonst übernimmt als nächstes die Scham. Dennoch darf es meiner Ansicht nach mehr Menschen geben, die im beruflichen Kontext die Masken fallen lassen und damit auch ein persönliches Risiko der Be- und Abwertung von anderen eingehen, die immer noch glauben, dass es Heulsusen und Weichpupen gibt.
Was meinst du? Wann hast du in einem Meeting geweint oder dein Weinen zurückgehalten?
Ich plädiere für mehr menschlich, authentischen Kontakt im Miteinander, jedoch ohne den Anspruch, dass die zugrundeliegenden individuellen Themen im Arbeitskontext gelöst werden müssten oder sollten. Diese sind meist persönlich. Für Unternehmen könnte es ratsam sein Räume, Zeit oder finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen um diese inneren persönlichen Entwicklungen zu unterstützen. Denn Emotionen spielen eine große Rolle im unternehmerischen Miteinander. Sich diesen gewahr zu sein und eine Kultur der psychologischen Sicherheit zu schaffen führt zu mehr Menschlichkeit im Miteinander, besseren unternehmerischen Entscheidungen und weniger Überlastungssituationen.
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Ich biete hierfür 1:1 Begleitung an. Dein Vorteil: ich kenne die Arbeitswelt als Führungskraft und Teammitglied genauso wie die Begleitung von inneren Themen durch meine gestalttherapeutische Beratungstätigkeit.
Für Unternehmen, die Räume für individuelle Entwicklung bieten wollen, biete ich Coachingkooperationen und Workshops zu den Themen Selbstführung, Führung im Kontakt mit den eigenen Emotionen, Impulse aus der Gestalttherapie, die in Führungsarbeit wirkungsvoll sind.